Die Trilogie lief im nationalen Fernsehen auf Mongolisch. Dank der etwas verspäteten Synchronisierung hörte man im Originalton jene Sprache, die mich dazu bewegte zu träumen, sie irgendwann sprechen zu können. Jedes Mädchen in der Mongolei träumte von den fernen europäischen Schlössern, Prinzessinnen und Bällen. Eltern gaben ihren Töchter den Kosenamen Sissi und ermutigten sie, irgendwann genauso eine wunderschöne und gutmütige Frau zu werden wie sie. Sissi war mein Beweggrund mich für die deutsche Sprache zu entscheiden, als ich an der Uni eine Fremdsprache als Nebenfach wählen musste.
Heute kann ich aus den drei Filmen jede Szene nachsprechen oder besser vorsprechen, teilweise sogar „boarisch“. Während meiner Reise auf den Spuren von Sissi in Europa wurde mir allerdings klar, dass diese romantische Figur, die von dem Regisseur Ernest Marishka verschönert wurde, im echten Leben doch nicht so ein traumhaftes Leben geführt hatte. Der Regisseur erklärte den Hintergrund des von ihm geschaffenen Märchens so, dass er Europa nach dem Krieg den alten Glanz verleihen wollte und so die Geschichte mit Reichtum, Schönheit und vor allem einer Märchenliebe geschmückt hat. Sein Zweck ist erfüllt, denn der Film war der internationale Kassenknüller, sodass er an manchen Orten sogar den Rekordhalter „ Vom Winde verweht“ verdrängte.
Die wahre Sissi war nicht enttäuschend, wenn sogar noch interessanter. Die authentische, imperfekte Realität war für mich noch faszinierender als das erfundene Mädchen. Das Bild von Sissi, die ich vom Film kannte, mein Inbegriff von Schönheit und Reinheit änderte sich in das neue authentische Porträt von einer fortschrittlichen, mutigen Frau, die mit all ihrer Kraft nach ihrer Freiheit und ihrer Selbsterfüllung strebte. Nicht umsonst ist die Trefferliste für die zutreffende Literatur für Sissi lang. Vertieft man sich in ihren Biografien, so stellt man fest, dass die Autoren meist eine österreichische und eine deutsche Grundeinstellung haben und dementsprechend Lobeshymnen und Vorwürfe miteinander verschmelzen. Weder die umstrittene Frage nach der richtigen Schreibweise ihres Namens, ob es Sissi oder Sisi sei, ist eindeutig geklärt, noch der wahre Ausgang ihrer Geschichte ist endgültig erzählt worden.
Fest steht, dass die Kaiserin Elisabeth in vielen europäischen Städten ihre Spur hinterlassen hat und ihr Märchen tausende von Mädchen inspiriert hat.
Ludwigstraße 13, München. Sissi’s Geburtshaus, damaliges Herzog-Max-Palais.
Elisabeth Eugenie Amalie wurde am Heiligabend des Jahres 1837 als Tochter des Herzog Max in Bayern und der bayerischen Königstochter Ludovika in München geboren. Sissi war also nicht nur ein Sonnenkind, da es Sonntag war, sondern auch ein Münchner Kindl. Da sie am Heiligabend zur Welt kam, ist es nur verständlich, wieso jedes Jahr zu Weihnachten Sissi im deutschen Fernsehen kommt.
Die Beziehung zwischen Ludovika und Herzog Max in Bayern war alles andere als romantisch, wie es im Film dargestellt wurde. Während der Wittelsbacher seinen Alltag mit Reisen, Reiten, Pferdeshows, Gesang und Gedichten verbrachte, zog Ludovika die neun Kinder auf.
Das Herzog-Max-Palais. Heute befindet sich die Hauptverwaltung München der Deutschen Bundesbank hier in der Ludwigstraße 13
Wenn der Frühling anbricht, residierte die Familie das Schloss Possenhofen am Starnberger See. Wenn man die Gegend besucht, könnte man sich bildlich vorstellen, wie Sissi ihre Kindheit hier in Freiheit ohne Zwang verbracht hat. Die Geschwister lernten Fremdsprachen, schwimmen, reiten und tanzen. Das Lernprogramm könnte eine Eliteausbildung darstellen.
Der Starnberger See liegt 25km entfernt im Südwesten von München
Schloss Possenhofen. Das Seeufer vor der Schlossanlage, das einst nur der herzoglichen Familie zugänglich war, ist heute öffentlich. Das Schloss kann man leider nicht privat besichtigen.
Gewiss war Possenhofen später der Zufluchtsort für Sissi, weg von den strengen Hofzeremonien, gerade weil er sie an ihre glückliche Kindheit, somit an ihre Freiheit erinnert hat. Da die königliche Familie bei An- und Abreisen den Prunkwartesalon des heutigen Bahnhofs besuchten, befindet sich zu Recht heute ein Kaiserin-Elisabeth-Museum drinnen.
Der Hauptbahnhof Possenhofen
Sissi in Lebensgröße. Seit 2013 steht davor eine 150 kg schwere Bronzeskulptur von dem Bildhauer Jozek Novak
Sissi war kaum 16, als die Verlobung mit Franz Josef I am 18.August 1853 während seiner 23. Geburtstagsfeier in Bad Ischl stattfand. Erzherzogin Sophie erwarb die Sommerresidenz der kaiserlichen Familie als Verlobungsgeschenk für das kaiserliche Paar. Später wurde die Kaiservilla mit zwei Seitenflügeln erweitert, sodass das Gesamtbauwerk ein „E“ bildete, eine Hommage an Elisabeth.
Dass Sissi bis zur Hochzeit ein intensives Lernprogramm hatte, das österreichische Geschichte, Italienisch, Französisch, Tschechisch, Hofprotokoll und -zeremonie und nicht zuletzt Hoftanz umfasste, muss für das bislang in Freiheit lebende bayerische Madl genauso ein Kulturschock gewesen sein, wie für ein Steppenmädchen, das fürs Jurastudium ins Land der Dichter und Denker gekommen war.
Im zarten Alter von 16 Jahren eine Kaiserin zu werden, von einem Land, das damals nach Russland das zweiteinflussreichste war, bringt sicherlich Unmengen von Verpflichtungen und neuen Gepflogenheiten mit sich. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie den Veränderungen schwer standhielt und die Belastungen mit dem Dichten verarbeitete, zumal sie eine Frohnatur mit ungezwungenem Wesen war. Viele ihrer Gedichte sehnen sich nach der Freiheit, die sie einst in Bayern besaß, nach der Befreiung aus dem Käfig in Wien, in dem sie sich gefangen fühlte.
Schloss Schönbrunn-die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Wien mit einer Besucherzahl von ca. 8 Millionen jährlich-zählt zum Weltkulturerbe seit 1996
Während Franz Joseph ein Politiker und ein Mann des Militärs war, war Sissi eine Geistige, die sich für Kunst und Kultur interessierte. Sissi kam ihren kaiserlichen Verpflichtungen nach und schenkte der Monarchie drei Erben innerhalb vier Jahren. Nicht nur die Tatsache, dass ihr die Kinder nach der Geburt von Erzherzogin Sophie entzogen wurden, so dass sie ihre wichtigeren kaiserlichen Pflichten erfüllen kann, statt sich der Kindererziehung zu widmen, sondern auch der Verlust ihres ersten Kindes, als es nur zwei Jahre alt war, führte dazu, dass sich der Kampf um Selbstbestimmung verschärft hat, infolge dessen sie krank wurde und häufig Stimmungsschwankungen hatte.
In den Hofburger Kaiserappartements, in die Franz und Sissi umgezogen waren, befindet sich heute das Sisi-Museum mit der größten Sammlung.
Um gesund zu werden, durfte Sissi nach sechs jährigem Aufenthalt zum ersten Mal reisen. Befreit von höfischer Fessel entdeckte Sissi Madeira, Korfu, Mallorca, Triest, Gibraltar, Sevilla, Malta und widmete sich Shakespeare und Heinrich Heine, ihre Lieblinge. Sie kam nicht nur als selbstbewusste, erwachsene Frau zurück, sondern auch als eine entfaltete Schönheit. Die Geschichten zu ihren Schönheitsritualen belegen, dass sie sich ihrer Schönheit bewusst war und sie leidenschaftlich pflegte.
Kein Künstler war für Franz Josef gut genug, die Schönheit seiner Gemahlin naturtreu wiederzugeben. Das bis jetzt berühmteste Porträt von ihr stammt von F. Xaver Winterhalter.
Sissi's Frisiertisch
Man brauchte sagenhafte drei Stunden täglich, um ihre langen Haare zu frisieren. Sie hatte einen Vorleser, der ihr während dessen griechische Mythen vorlas. An der Wand ihres Zimmers hängt das Porträt von Heinrich Heine. Zu dieser Zeit war er persona non grata in Österreich. Gerade deswegen, um zu rebellieren, oder vielleicht einfach weil er der Lieblingsdichter von ihr und von ihrem Vater war.
Sissi’s Schlafzimmer
Sie hat wie besessen Turnübungen gemacht, war eine hervorragende Reiterin und hielt strenge Diät, so dass ihr Gewicht ja nicht 50 kg überschritt.
Franz Josef’s Schreibtisch im Arbeitszimmer in der Hofburg
Obwohl Sissi sich nie für Politik interessierte, überredete sie Franz stets von einem Krieg abzusehen und sprach sich immer für die friedliche Beilegung eines Konflikts aus. Ihre Engagements in Ungarnangelegenheit führte sie zu ihrer Krönung zur Königin von Ungarn als sie 30 Jahre alt war.
Reproduktion des Kleides, das Sissi trug, als sie zur Königin von Ungarn gekrönt wurde.
Hier schrieb Sissi ihre Gedichte...
Wenn Sissi nicht in Ungarn war, befand sie sich in Bayern. Für die kaiserliche Gefolgschaft war das Schloss Possenhofen inzwischen zu klein, dass sie mit ihrer gesamten Entourage im Hotel Strauch abstieg. Heute nennt man diesen Hotel „Kaiserin Elisabeth“ und jede Ecke hier erzählt ein bisschen Sissi-Geschichte.
Nach dem Tod ihres einzigen Sohnes Rudolph zog sich die 51 jährige Kaiserin zurück, verbrachte die letzten neun Jahre ihres Lebens trauernd, nur schwarztragend, reisend von einem Ort zu anderen, gebrochen und einsam. Sie wurde in Genf von einem italienischen Anarchisten ins Herz gestochen. Der Dolch ist im Sisi Museum ebenfalls zu sehen.
Für mich verkörpert Sissi einen Freigeist, der im falschen Zeitalter geboren wurde. Wenn sie heute unter uns weilen würde, wäre sie wegen ihrer Schönheit Miss World, eine berühmte Turnierreiterin, oder eine Friedensnobelpreisträgerin. Oder einfach eine inspirierende Dichterin.
Denn, sie inspiriert Millionen, mich eingeschlossen. Ihr Mythos ist unergründlich, dass man immer weiter auf ihrer Spur seinen Horizont erweitern kann.
Sissi in Madadme Tussauds, Wien
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